Im Vorfeld der Abstimmung über das Voice-Referendum an diesem Samstag, den 14. Oktober, wiederholt die Socialist Equality Party (SEP) in Australien ihren Aufruf an Arbeiter, Studenten und Jugendliche, einen aktiven Boykott des gesamten Referendums zur Verankerung eines indigenen Beratungsgremiums des Parlaments in der Verfassung zu unterstützen.
Lehnt die offiziellen „Ja“- und „Nein“-Kampagnen ab! Sie repräsentieren rivalisierende Teile der herrschenden Elite, die den Interessen der Arbeiter feindlich gegenüberstehen! Werdet aktiv und signalisiert eure Unterstützung für eine unabhängige Perspektive der Arbeiterklasse gegen Labor, die Liberalen und das gesamte politische Establishment!
Aufgrund des undemokratischen Wahlrechts in Australien, das eine Wahlpflicht vorsieht, kann ein aktiver Boykott nur durch eine informelle Stimmabgabe an der Wahlurne registriert werden. Hierzu rufen wir Arbeiter und Jugendliche auf.
Doch die Kampagne der SEP für einen Boykott geht weit über die Stimmabgabe hinaus. Ihr Ziel ist die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der gesamten Arbeiterklasse gegen den wirtschaftsfreundlichen Rassismus des Ja- und des Nein-Lagers und das gesamte Programm von Krieg, Sparmaßnahmen und zunehmendem Autoritarismus der herrschenden Klasse, das von beiden Fraktionen unterstützt wird.
Wie die SEP bereits von Anfang an warnte, war die Kampagne für das Referendum von entwürdigendem Rassismus, Ablenkungen und Lügen geprägt.
Dem Ja-Lager geht es nicht darum, die Bedingungen der unterdrückten Ureinwohner zu verbessern. Es ist vielmehr ein zynischer Versuch, von der Zustimmung der Massen zu einer Wiedergutmachung der Verbrechen an den Aborigines zu profitieren. Ihr Ziel ist es, der rechten Labor-Regierung von Premierminister Anthony Albanese einen progressiven Anstrich zu verleihen. Die gleiche Regierung hat sich verpflichtet, die australische Beteiligung an den US-Kriegsplänen gegen China auszuweiten und zwingt die Arbeiterklasse, durch Sparmaßnahmen für die Krise des Kapitalismus zu zahlen.
Das Nein-Lager unter Führung der Liberal-National Coalition und ihres Parteichefs Peter Dutton stützt sich auf eine Verteidigung des Status quo und kaum verhüllte rassistische, kodierte Rhetorik gegen Ureinwohner.
Beide Seiten verteidigen die undemokratische Verfassung von 1901, die kein einziges demokratisches Recht garantiert. Beide verteidigen die Interessen des australischen Kapitalismus, d.h. die Vorherrschaft der Banken und des Großkapitals über die arbeitende Bevölkerung und die Wirtschaftsordnung, die für die Unterdrückung des größten Teils der Aborigines verantwortlich ist.
Beide haben angekündigt, im Rahmen eines umfassenden Angriffs auf die Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Grundversorgung die Ausgaben der Bundesregierung für Ureinwohner-Programme zu kürzen. Die Ja-Kampagne hat „Voice“ sogar als Mittel angepriesen, um weniger statt mehr für Leistungen für die Ureinwohner auszugeben!
Dass sich beide Lager im Grunde einig sind und dass das ganze Referendum ein Betrug ist, wurde durch die Krise im Nahen Osten in der letzten Woche entlarvt. Labor und die Koalition haben gemeinsam den mutigen Aufstand der Palästinenser gegen ihre jahrzehntelange Besatzung verurteilt und sich mit der Bombardierung des Gazastreifens durch ein israelisches Regime solidarisiert, das die Sprache des Völkermords spricht.
Albanese und die Ja-Kampagne behaupteten fälschlicherweise, das Referendum würde den unterdrückten Ureinwohnern, den Opfern der britischen Kolonialisierung, eine Stimme geben. Doch in der letzten Woche der Kampagne haben sie sich uneingeschränkt hinter die Bombardierung und den Massenmord an den unterdrückten Palästinensern gestellt, die Opfer der längsten kolonialen Besatzung des 20. und 21. Jahrhunderts sind.
Zudem unterdrückt Labor alle Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern. Die Labor-Regierung des Bundesstaats New South Wales hat eine pro-palästinensische Demonstration für den 14. Oktober, den Tag des Referendums, faktisch verboten. Während die imperialistischen Kriegstreiber, die die israelischen Luftangriffe unterstützen, eine „Stimme“ bekommen, wird die wachsende Antikriegsstimmung unter Arbeitern und Jugendlichen gewaltsam unterdrückt.
Diese Entwicklungen machen die völlige Verlogenheit des gesamten Vorschlags der Indigenous Voice noch deutlicher.
Wie die SEP am 7. September in ihrem Aufruf zu einem aktiven Boykott erklärte, verfolgt Voice mehrere Ziele, die allesamt reaktionär sind, u.a.:
- Eine Schicht der indigenen Elite soll direkter in die Schaltzentrale der politischen und wirtschaftlichen Macht integriert werden. Diese Schicht, die von Personen wie Noel Pearson und Marcia Langton repräsentiert wird, hat staatliche Angriffe auf die unterdrückte indigene Bevölkerung unterstützt, darunter die Intervention im Northern Territory, bei der Gebiete der Aborigines von Militär und Polizei besetzt wurden, und die Sperrung von Sozialhilfe.
- Die Arbeiterklasse soll nach ethnischen Gesichtspunkten gespalten werden. Angesichts der größten Krise der Lebenshaltungskosten und der sozialen Krise seit Jahrzehnten, in der Arbeiter aller Schichten immer schwerer über die Runden kommen, will Voice Ethnien- statt Klassenzugehörigkeit zum Mittelpunkt der politischen Diskussion machen.
- Das Image des australischen Kapitalismus soll aufpoliert werden. Die Labor-Regierung fungiert, mit voller Unterstützung durch die Coalition, als wichtigster Kettenhund des US-Imperialismus in dessen Konfrontation mit China. Die brutale Unterdrückung der Aborigines durch den australischen Kapitalismus in der Vergangenheit erschweren Labors ständige diplomatische Missionen in Asien und dem Pazifik, bei denen sie die Staaten der Region dazu zwingen wollen, sich dem Kriegskurs anzuschließen.
- Der Staatsapparat soll gestärkt werden. Die Indigenous Voice würde durch ihre Beziehungen zum Parlament und zur Regierung mit dem Militär, der Polizei und anderen Institutionen des kapitalistischen Staats zusammenarbeiten, die allesamt die Wirtschaftselite verteidigen und die Arbeiterklasse unterdrücken. Die Stärkung dieses Apparats wird vom politischen Establishment angesichts des wachsenden sozialen Widerstands und der Antikriegsstimmung als Reaktion auf den Ausbruch des Militarismus als entscheidend angesehen.
Im Verlauf der Kampagne geriet das Ja-Lager in eine zunehmende Krise. Meinungsumfragen sind nicht unfehlbar, aber alle deuten auf eine Niederlage des Vorhabens hin. Befürworter von Voice reagierten mit einer hysterischen Kampagne, laut der massiver Rassismus der Grund für ihren schwindenden Rückhalt ist. Doch das ist eine Verleumdung der Bevölkerung und vor allem der Arbeiterklasse.
Labor hat das Referendum organisiert, um die antirassistische Stimmung in den Massen der arbeitenden Bevölkerung und die Sympathie für das Schicksal der Ureinwohner zynisch auszunutzen. Umfragen von Anfang des Jahres zeigten, das die Voice von bis zu 65 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt wurde.
Die Stimmenveränderung geht nicht auf ein plötzliches Anwachsen des Rassismus zurück, sondern auf die Tatsache, dass wachsende Schichten zu Recht bezweifeln, dass die Voice die Bedingungen der unterdrückten Aborigines oder irgendeiner anderen Schicht der Arbeiterklasse in irgendeiner Weise verbessern wird. Zudem stehen sie der Labor-Regierung, dem gesamten politischen Establishment und seiner Politik der Austerität und Lohnsenkungen angesichts der immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten zunehmend feindselig gegenüber. Bezeichnenderweise deuten Umfragen darauf hin, dass der Anführer des offiziellen Nein-Lagers, Peter Dutton, trotz des Einbruchs der Unterstützung für Voice weiterhin einer der unbeliebtesten Politiker Australiens ist.
Die Indigenous Voice ist gescheitert, weil sie immer eine von oben gesteuerte Initiative war und keine Basisbewegung der indigenen Bevölkerung oder eines anderen Teils der Arbeiterklasse. Die Ursprünge der Bestrebungen für eine verfassungsmäßige Anerkennung der indigenen Bevölkerung liegen in einem Treffen mit indigenen Führern im Jahr 2015, das der damalige liberal-nationale Premierminister Tony Abbott einberufen hatte, um den weit verbreiteten Widerstand gegen die umfassenden Haushaltskürzungen zu zerstreuen, die auch die Leistungen für die Aborigines betrafen.
Am Uluru-Dialog von 2017, bei dem die Einrichtung der Voice vorgeschlagen wurde, beteiligten sich sorgfältig ausgewählte Vertreter der indigenen Elite, während die breite Masse außen vor blieb.
Bezeichnenderweise wurden in den Tagen vor dem Referendum Umfragen veröffentlicht, laut denen der Rückhalt für die Indigenous Voice unter Aborigines nur 59 Prozent beträgt – die Ja-Kampagne hatte während des größten Teils der Kampagne fälschlicherweise von 80 Prozent gesprochen. Angesichts der Tatsache, dass die meisten regionalen und abgeschiedenen Gemeinden nicht in den Umfragen berücksichtigt wurden, könnte diese Zahl sogar noch niedriger ausfallen.
Wie die SEP betont hat, geht die Unterdrückung der meisten Ureinwohner nicht auf Rassismus zurück und wird nicht verschwinden, indem mit der Indigenous Voice die Ureinwohner eine Stimme im Parlament erhalten.
In unserer Erklärung vom 7. September schrieben wir: „Eine unabhängige Politik für die Arbeiterklasse muss von der Erkenntnis ausgehen, dass die Unterdrückung der Aborigines ein Produkt des Kapitalismus ist – des Privateigentums einer winzigen Finanzelite an den Ressourcen der Gesellschaft. Sie kann nicht beseitigt werden, indem man die bestehenden staatlichen Strukturen, die der Verteidigung des Privateigentums dienen, stärkt, verändert oder reformiert.“
Die SEP betonte: „Der Kampf zur Beendigung der Unterdrückung der Aborigines und für die sozialen Rechte der Arbeiterklasse sind ein und das selbe. Sie erfordern eine vereinte Bewegung der Arbeiterklasse, ungeachtet der Ethnie, des Geschlechts und der Sexualität gegen das kapitalistische Profitsystem selbst. Das bedeutet den Kampf für den Sozialismus und die Umwandlung der gesellschaftlichen Ressourcen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter, um das allgemeine Recht auf kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und die grundlegenden Bedürfnisse des modernen Lebens zu garantieren.“
Der Verlauf des Referendums hat diese Position vollauf bestätigt. Die Bombardierung des Gazastreifens, der Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine und die Vorbereitungen der USA auf einen Krieg gegen China, der mit der Vernichtung der Menschheit enden könnte, zeigen, dass die Entwicklung einer unabhängigen sozialistischen Bewegung der weltweiten Arbeiterklasse dringender ist als je zuvor.
Zudem zeigt die Unterdrückung der pro-palästinensischen Proteste, dass eine solche Bewegung die einzige Möglichkeit ist, die Demokratie zu verteidigen. Nur auf diese Weise können Arbeiter für ihre grundlegenden sozialen Rechte auf qualitativ hochwertige kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen, Arbeitsplätze und angemessene Löhne gegen das Spardiktat der Regierungen und Konzerne kämpfen.
Beteiligt euch am aktiven Boykott, und vor allem: Tretet der Socialist Equality Party bei und helft, sie zur neuen revolutionären Massenführung der Arbeiterklasse aufzubauen!
Hinweis: Angesichts der Wahlpflicht, durch die ein Aufruf zum Boykott eine Straftat darstellt, ruft die SEP die Arbeiter und Jugendlichen dazu auf, ihren Widerstand durch die Abgabe ungültiger Stimmzettel auszudrücken oder sich unserer Kampagne für einen aktiven Boykott im Vorfeld des 14. Oktober anzuschließen. Diese geht deutlich über den individuellen Akt der Stimmabgabe hinaus.
Verfasst von Cheryl Crisp für die Socialist Equality Party, Suite 906, 185 Elizabeth Streeth, Sydney (New South Wales), 2000.