Am 10. Juli einigte sich die Ampel-Regierung mit den Bundesländern auf Eckpunkte für die Klinikreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Mit ihr wird ein bisher nicht gekanntes Kliniksterben eingeleitet und die Versorgung der breiten Bevölkerung signifikant verschlechtert.
Im Dezember hatte eine vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte Expertenkommission einen Entwurf dazu vorgelegt. Geleitet wurde die Kommission von Professor Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut (RWI) und Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, die beide seit Jahren die Stilllegung von Kliniken im großen Stil fordern. Dieser Entwurf wurde nun nach einigen Querelen mit den Länderregierungen im Wesentlichen beschlossen. Nur Bayern stimmte dagegen, Schleswig-Holstein enthielt sich.
Die Reform sei „eine Art Revolution“, erklärte Lauterbach nach der Einigung. Die Finanzierung der Krankenhäuser soll künftig an die Qualität von Leistungen geknüpft werden und nicht mehr an die Anzahl der Behandlungen. Angeblich werden dadurch die Fallpauschalen weniger wichtig und die Kliniken dafür bezahlt, dass sie gute Leistung vorhalten.
Die Fallpauschalen waren 2004 von der damaligen rot-grünen Koalition im Rahmen der Agenda 2010 eingeführt worden. Lauterbach war maßgeblich daran beteiligt. Zusammen mit der Verwandlung der Kliniken in profitorientierte und teils private Unternehmen trugen sie zur Verschlechterung der Gesundheitsversorgung und den unerträglichen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Kliniken bei. Im Namen der angeblichen „Abschaffung der Fallpauschalen“ holt Lauterbach nun zum nächsten Schlag gegen die Gesundheitsversorgung aus.
Um die Leistung der Klinken zu messen, sollen einheitliche Leistungsgruppen mit Mindestvoraussetzungen definiert werden. Wie Lauterbach und andere Verfechter der Reform ständig wiederholen, soll dies dafür sorgen, dass komplexe Behandlungen, wie beispielsweise bei Krebserkrankungen oder bei Schlaganfällen, nur in materiell und personell entsprechend ausgestatteten Kliniken erfolgen.
Dies wird – entgegen der Beteuerungen – keineswegs zu einer besseren Versorgung führen, denn es wird kein zusätzlicher Cent bereitgestellt, wie es für die notwendige Ausstattung oder genügend gut bezahltes Personal dringend erforderlich wäre. Tatsächlich führt es nur zur Schließung von Abteilungen oder ganzen Krankenhäusern, wie bereits die Deutsche Krankenhausgesellschaft und zahlreiche weitere Experten seit Langem kritisieren. Nur in Ausnahmefällen gelten in dieser Frage Ausnahmeregeln, und diese auch nur befristet.
Völlig offen bleibt auch, wie lange die Wartezeiten an den spezialisierten Hochleistungskliniken sein werden und wer privilegierten Zugang zu ihnen hat. In Großbritannien, wo die Sunak-Regierung dabei ist, dem National Health Service den Todesstoß zu versetzen, ist es für schwerkranke Patienten ohne teure Privatversicherung schon jetzt nahezu unmöglich, vor ihrem Ableben einen Behandlungstermin zu bekommen.
Weiterer zentraler Punkt von Lauterbachs Reform sind die so genannten Vorhaltepauschalen. Bisher werden Kliniken nur für behandelte Fälle bezahlt, künftig sollen durchschnittlich 60 Prozent der Kosten über die Vorhaltepauschalen abgedeckt werden. Das entlaste vom wirtschaftlichen Druck und sichere die Existenz von Kliniken trotz geringerer Fallzahlen, so Lauterbach.
Das ist reine Augenwischerei. Die Gelder werden nach wie vor an die Anzahl der Behandlungen gekoppelt, denn die Fallpauschalen werden nicht abgeschafft, sondern bestenfalls ergänzt. Dabei ändert sich an dem viel zu geringen Gesamtvolumen der Mittel überhaupt nichts. Lauterbach hatte von Beginn an erklärt, dass kein zusätzliches Geld in die Krankenhausfinanzierung fließen werde.
Darüber hinaus gibt es noch keine konkreten Informationen, wie diese Pauschalen berechnet werden. Sie werden nicht zweckgebunden sein, was bedeutet, dass beispielsweise private Klinikkonzerne diese Gelder für Dividenden verwenden können, die sie an ihre Aktionäre ausschütten.
Über die von der Expertenkommission vorgeschlagene Einteilung der Kliniken in Versorgungsstufen, sogenannte Levels, gab es noch keine Einigung. Lauterbach will dies zentral regeln und die entsprechenden Daten ab Januar kommenden Jahres veröffentlichen. „Materiell“ sei die Leveleinteilung nicht von Bedeutung, daher müssten die Länder diese nicht übernehmen, so Lauterbach. Die Länder sträuben sich dagegen und pochen auf eigene Kriterien.
FDP-Gesundheitspolitiker Lars Lindemann erläuterte, was hinter den Plänen steckt, so genannte Qualitätsdaten für Krankenhäuser zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine große Offenheit darüber, was bestimmte Strukturen im Krankenhaussektor zu leisten in der Lage sind,“ so Lindemann. Krankenhäuser, die bestimmte Leistungen nicht zu einem bestimmten Qualitätsniveau erbringen könnten, müssten im Zweifel damit aufhören und ausscheiden. „Das ist schmerzhaft, aber es ist so.“
Einig waren sich Bund und Länder hingegen, dass Kliniken bis zum Inkrafttreten der Reform am 1. Januar keinerlei finanzielle Hilfen erhalten, obwohl diese dringen benötigt werden.
Kliniken sind mit enormen Preissteigerungen konfrontiert. Die Coronahilfen sind ausgelaufen und aufgrund des eklatanten Mangels an Pflegekräften müssen zahlreiche Betten oder ganze Stationen geschlossen bleiben. Noch nie waren in Deutschland so viele Kliniken in den roten Zahlen wie heute.
Auf die Frage, ob angesichts dieser Situation der Bund nicht Nothilfen zur Verfügung stellen müsse, erklärte Lauterbach kalt: „Ich kann da keine Hoffnung machen.“ Im Bundeshaushalt seien dafür keine Mittel eingeplant.
Tatsächlich sind die Einsparungen im Gesundheitshaushalt für das kommende Jahr atemberaubend. Von 64,4 Milliarden Euro 2022 und 24,5 Milliarden im laufenden Jahre sinkt er auf 16,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Er wird damit innerhalb von zwei Jahren auf ein Viertel gekürzt. Die Gelder werden direkt für militärische Aufrüstung verwendet.
Das durch das Verweigern der Hilfen zahlreiche Kliniken noch in diesem Jahr in die Insolvenz rutschen, ist dabei politisch gewollt. Damit sollen die von Lauterbach und der Expertenkommission geforderten Klinikschließungen beschleunigt werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft prognostiziert schon für das laufende Jahr eine Pleitewelle. „Wir laufen Gefahr, dass dann zehn bis 20 Prozent der Krankenhäuser Insolvenz anmelden müssen“, so die DKG. Das Defizit, das auf den Kliniken lastet, wird sich bis zum Jahresende auf 15 Milliarden Euro summieren. Der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser warnt für dieses Jahr vor bis zu hundert Insolvenzen.
Nach einer Umfrage der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft BWKG erklären 77 Prozent der Kliniken des Bundeslandes, sie erwarteten ein negatives Jahresergebnis. Das sind deutlich mehr als im letzten Jahr, als 62 Prozent rote Zahlen schrieben. Das Gesamtdefizit lag im letzten Jahr bei etwa 500 Millionen Euro, in diesem Jahr werden 800 Millionen Euro Minus erwartet.
Die Einigung zwischen Bund und Ländern zeigt, dass alle Parteien hinter den Klinikschließungen und Kürzungen stehen. Die Kritik der Linkspartei an den Eckpunkten ist daher heuchlerisch und abstoßend.
„Die Krankenhausreform ist handwerklich so schlecht gemacht, dass der gesamte Sektor verunsichert ist“, kritisierte Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Neben dieser harmlosen Kritik stellte die Partei Ende dieser Woche ihr Konzept zur Gesundheitspolitik vor. Mit keinem Wort erwähnte sie, dass Thüringen und Bremen, wo die Linke den Ministerpräsidenten stellt bzw. an der Regierung beteiligt ist, sich für die Reform ausgesprochen haben.
Was bisher aus dem Konzept der Linken bekannt ist, geht über leere Versprechen nicht hinaus. Laut dem Papier sollen Kliniken nach dem Selbstkostendeckungsprinzip arbeiten, das heißt, sie bekämen ihre Kosten erstattet. Voraussetzung dafür müsste die Tarifbindung des jeweiligen Trägers sein. Das dies nichts mit adäquaten Arbeitsbedingungen zu tun hat, zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre. An der Berliner Charité hatten die Pflegekräfte – trotz Tarifbindung – über Monate hinweg für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft und wurden von Verdi und dem rot-rot-grünen Senat ausverkauft.
Auch die Forderung nach Insourcing von ausgelagerten Krankenhausbereichen ist heuchlerisch. Nicht nur dass die Linkspartei in Berlin vor 20 Jahren viele Bereiche outsourcte, um Gelder einzusparen, auch das spätere Insourcing diente nur dem Zweck, die schlechten Löhne zu zementieren.
Unter dem Schlagwort „Rekommunalisierung von privaten Krankenhäusern“ gibt die Linke nun vor, sie wolle die weitere Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen stoppen. Doch die Frage, ob Rekommunalisierung Enteignung bedeute, verneinte die Parteivorsitzende Janine Wissler ausdrücklich.