Der 16. Oktober markierte den 45. Jahrestag der Ermordung von Tom Henehan, einem Mitglied des Politischen Komitees der Workers League (WL). Die WL war die Vorgängerorganisation der Socialist Equality Party (SEP) in den USA.
Wir veröffentlichen hier erneut eine Rede von David North, dem damaligen nationalen Sekretär der SEP, die er auf einer Parteiversammlung am 19. Oktober 1997 zum 20. Todestag Tom Henehans gehalten hat.
Am Abend des 15. Oktober 1977 führte Tom die Aufsicht über eine Veranstaltung der Young Socialists, der Jugendbewegung der Partei, im Ponce Social Club in Bushwick, einem Teil von Brooklyn, New York. Zwei Männer, die später als Edwin Sequinot und Angel Rodriguez identifiziert wurden, versuchten am Eingang eine Schlägerei anzuzetteln, indem sie ein weiteres Mitglied der Workers League, Jacques Vielot, angriffen. Als Tom Vielot zu Hilfe eilte, trafen ihn fünf Schüsse. Der Täter, ein dritter Beteiligter namens Angelo Torres, ein professioneller Schütze, hatte bereits auf der Lauer gelegen. Als Nächstes zog auch Sequinot eine Waffe, schoss auf Vielot und verletzte ihn schwer. Der verletzte Vielot brachte Tom sofort in das Wychoff Heights Hospital. Tom starb ungefähr eine Stunde nach der Einlieferung ins Krankenhaus in den frühen Morgenstunden des 16. Oktobers. Er wurde 26 Jahre alt.
Der Mord an Tom Henehan war ein politischer Angriff, mit dem die Workers League eingeschüchtert und davon abgehalten werden sollte, sich weiter für den Aufbau einer sozialistischen Führung in der amerikanischen Arbeiterklasse einzusetzen. Zum Zeitpunkt von Toms Tod gewann die Partei viel Unterstützung unter den Beschäftigten des New Yorker öffentlichen Diensts, unter Kohlebergleuten in West Virginia und Kentucky und unter weiteren Schichten militanter Arbeiter.
Zur gleichen Zeit führte die Workers League gerade eine Untersuchung über die Umstände der Ermordung von Leo Trotzki im Jahr 1940 durch, des Gründers der Vierten Internationale, die von historischer Bedeutung ist. Diese Untersuchung, deren Ergebnisse unter dem Titel „Sicherheit und die Vierte Internationale“ veröffentlicht wurden, deckte auf, dass die Geheimdienste des Imperialismus und des Stalinismus jahrzehntelang versucht hatten, die trotzkistische Weltbewegung zu unterwandern und zu sabotieren.
Unter anderem offenbarte sie belastende Verbindungen zwischen Joseph Hansen – der später Vorsitzende der amerikanischen Socialist Workers Party wurde – und dem Inlandsgeheimdienst Federal Bureau of Investigation (FBI). Im Juni 1977 veröffentlichten Hansen und die SWP eine Erklärung, in der sie warnten, die Fortsetzung dieser Untersuchung werde „tödliche Folgen“ haben. Wenig später lag Tom Henehan tot in einem Brooklyner Krankenhaus.
Kurz nach Toms Tod begannen die Workers League und die Young Socialists eine Kampagne, um die Verhaftung und gerichtliche Verurteilung der Mörder zu fordern. Sie gewann breite Unterstützung bei Arbeitern und Jugendlichen im ganzen Land, Zehntausende unterzeichneten die entsprechende Petition an die zuständige Staatsanwaltschaft in Brooklyn. Auch einige Gewerkschafter, die drei Millionen Arbeiter in den USA vertraten, unterstützten die Kampagne
Erst 1980 verhaftete die New Yorker Polizei die Täter Torres und Sequinot, nachdem sie drei Jahre lang behauptet hatte, dass ersterer spurlos untergetaucht sei und gegen letzteren keine Beweise vorlägen. Torres hatte die ganze Zeit unbehelligt in seiner Wohnung gelebt und war sogar einmal verhaftet und wieder auf freien Fuß gesetzt worden, obwohl ein Haftbefehl wegen Mordverdachts gegen ihn vorlag. Beide wurden im Sommer 1981 des gemeinschaftlichen Mordes an Tom Henehan und der Körperverletzung an Jacques Vielot für schuldig befunden und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Der Tod Tom Henehans in so jungen Jahren war ein tragischer Verlust für die internationale Arbeiterklasse. Intelligent, mutig, tatkräftig, unermüdlich und leidenschaftlich sind die Worte, die Tom als jungen Mann am besten beschreiben.
Er wurde am 16. März 1951 in Milwaukee (Wisconsin) geboren. Seine Familie zog nach Grand Rapids (Michigan), als er noch ein kleines Kind war. Später, als Tom ein Teenager war, ließ sich die Familie in Kalamazoo nieder. Im Jahr 1969 schrieb er sich an der Columbia University in New York ein, wo er in seinem letzten Studienjahr die Workers League traf. Im März 1973 trat Tom in die Partei ein und widmete sein Leben der politischen Erziehung und Befreiung der Arbeiterklasse.
Während seiner vierjährigen Mitgliedschaft spielte Tom eine zentrale Rolle im Aufbau der Jugendbewegung in den USA und weltweit. Besonders aktiv setzte er sich dafür ein, den Einfluss der Workers League unter den Bergarbeitern in West Virginia und Kentucky zu vergrößern. Tom war charismatisch und ein Idealist im besten Sinne des Wortes. Bei jedem, der ihn kannte und mit ihm zusammenarbeitete, hinterließ er einen großen und unvergesslichen Eindruck.
David North widmete dem Andenken Tom Henehans auch den Aufsatz „Leo Trotzki und die Entwicklung des Marxismus“ (1982), der in der Marxist Library der WSWS verfügbar ist.
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Tom Henehan: Das Leben eines Revolutionärs
Ich möchte mit einer Erinnerung beginnen. Als ich aus dem Krankenhaus zurückgekommen war, in dem Tom Hehehan in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1977 gestorben war, rief ich Toms älteren Bruder Paul an und überbrachte ihm die furchtbare Nachricht. Paul wollte dann die anderen Mitglieder von Toms Familie unterrichten.
Einige Stunden später sagte mir Paul, dass Toms Mutter, Mary Elise Henehan, am nächsten Tag nach New York fliegen werde. Ich war sehr angespannt, als ich auf die Ankunft von Mary Elise Henehan wartete. Ich hatte sie noch nie getroffen. Was sollte ich Toms Mutter sagen, um ihr in einem so tragischen Moment irgendwie zu helfen? Aber als sie in unserem Büro ankam, umarmte sie mich, bevor ich es noch geschafft hatte, irgendetwas zu sagen. Ich, der sich gefragt hatte, wie er Toms Mutter trösten sollte, wurde nun selbst von Mary Elise getröstet.
Keiner von uns, der die schrecklichen Ereignisse im Oktober 1977 miterlebte, kann vergessen, welche Stärkung und Unterstützung wir von Mary Elise Henehan in der wohl schwersten Woche ihres Lebens erhielten. Mir wurde damals klar, dass Toms außerordentlichen Eigenschaften in nicht geringem Maße der Tatsache entsprangen, dass er der Sohn eines außerordentlichen Menschen war. Wir sind alle sehr glücklich darüber, dass diese außerordentliche Person, Mary Elise Henehan, und Toms Schwestern heute an dieser Gedenkveranstaltung teilnehmen.
Am 22. Oktober 1977, auf der Veranstaltung wenige Tage nach dem Mord an Tom Henehan, gelobten wir, ihn nie zu vergessen. Diesem Versprechen sind wir bis heute, zwanzig Jahre später, treu geblieben. Allein die Tatsache, dass viele Besucher, die zu jener Veranstaltung gekommen waren, sich heute wieder eingefunden haben – und zum Teil Tausende Kilometer zurückgelegt haben – ist ein untrüglicher Beweis für den bleibenden Eindruck, den Tom mit seiner Persönlichkeit bei allen hinterließ, die ihn kannten, achteten oder sogar liebten. Selbst nach zwanzig Jahren bleiben in unserer Erinnerung an Tom viele Facetten seiner Persönlichkeit lebendig: seine Intelligenz, seine Entschlossenheit, sein Mut, seine Leidenschaft, seine Tatkraft, sein Sinn für Humor und seine überschäumende Lebensfreude.
Doch wir wollen auf dieser Versammlung nicht nur an die Vergangenheit erinnern und das Andenken an einen gefallenen Genossen ehren. Indem wir Toms Todestag gedenken, bekräftigen wir auch unsere eigene Treue für die Ideale und Prinzipien, denen er sein Leben widmete. Die Stärke und die Bedeutung dieser Ideale zeigt sich schon darin, dass heute auch Vertreter einer jüngeren Generation unter uns sind, die kleine Kinder oder noch gar nicht auf der Welt waren, als Tom starb.
Tom war erst 26 Jahre alt, als er in New York ermordet wurde. Wenn wir als seine damaligen Altersgenossen heute, selbst zwanzig Jahre älter, Fotos von Tom betrachten, dann spüren wir viel stärker noch als im Jahr 1977, wie jung er zum Zeitpunkt seines Todes war. Heute verstehen wir viel besser, wie viel er noch hätte erreichen können, wie viel er noch geleistet hätte, wenn er nicht ermordet worden wäre. Wir empfinden seinen Verlust bis heute als schmerzlich, nicht aber als zwecklos und vergebens. Toms Leben war mit 26 Jahren viel zu kurz, dennoch mangelte es ihm nicht an Sinn und an dauernder Wirkung.
Gewiss hätte Tom, wäre er nicht im Oktober 1977 gestorben, sondern hätte weitere zwanzig Jahre leben dürfen und wäre heute noch unter uns, mehr Erfahrungen gesammelt und mehr geleistet, als es ihm in 26 Jahren möglich war. Aber er hätte sein Leben im Wesentlichen auf dem Weg fortgeführt, den er einschlug, als er im Frühjahr 1973 kurz vor seinem Abschluss an der Columbia University beschloss, der Workers League beizutreten und sein Leben der Sache der Arbeiterklasse und dem Kampf für den internationalen Sozialismus zu widmen.
Tom war ein Idealist im besten und positivsten Sinne des Wortes. Er glaubte leidenschaftlich an Gerechtigkeit, Gleichheit und menschliche Solidarität. Doch er trat der Workers League nicht aus gedankenlosem jugendlichem Überschwang bei. Tom war inmitten der gesellschaftlichen und politischen Erschütterungen der 1960er und frühen 1970er Jahre herangewachsen. Politisch radikalisiert hatten ihn der Vietnamkrieg, die gewaltsamen Unruhen in den Städten und die offenkundige Unfähigkeit des liberalen Reformismus, eine tragfähige Lösung für die Probleme von Armut und Unterdrückung in den Vereinigten Staaten zu finden. Wie viele andere seiner Generation zog er die Schlussfolgerung, dass die Ursache für die sozialen Übel der amerikanischen Gesellschaft im Kapitalismus zu suchen war.
Als Tom die Workers League kennenlernte, hatte er bereits viele der zahllosen linken politischen Strömungen getroffen, die damals aktiv waren – von den Splitterfraktionen des SDS und den Maoisten von Progressive Labor bis hin zu den Revisionisten der Socialist Workers Party und der Spartacist League. Aber keine dieser Tendenzen, die im Laufe der vorangegangenen zehn Jahre Tausende Studenten angezogen hatten, konnte Tom Henehan für sich gewinnen.
Weshalb schloss sich Tom Henehan der Workers League an? Genau wie sich der Charakter eines Menschen in der Weltanschauung widerspiegelt, die er sich zu eigen macht, so lässt er mit der Wahl seiner Partei die Kräfte, Ideale, Grundsätze und Ziele erkennen, die sein geistiges und moralisches Leben im Innersten bestimmen. Die Beziehung zwischen der Partei und ihren einzelnen Mitgliedern ist jedoch komplex. Zweifellos trifft jeder Mensch selbst die Wahl, welcher Partei er sich anschließt. Aber in einem größeren historischen Sinne ist es eher richtig zu sagen, dass die Mitglieder einer Partei – insbesondere einer marxistischen Partei – ihrerseits aus einer historischen Auswahl hervorgehen.
Die revolutionäre Bewegung sucht sich ihre Träger. Zielsicher spürt sie jene Männer und Frauen auf, die den schwierigsten historischen Aufgaben gewachsen sind, die der sozialistischen Sache nicht nur Monate oder einige Jahre, sondern Jahrzehnte, ja ein ganzes Leben widmen. Sie verlangt ihren Mitgliedern außerordentliche geistige und moralische Festigkeit ab. Wer lediglich oberflächliche Antworten auf die Probleme der heutigen Welt sucht, wird eine Partei wählen, die nur geringe Anforderungen an sein Denken stellt, einfache und billige Antworten auf komplexe Probleme gibt, sich an die gängigen Vorurteile der öffentlichen Meinung und des sogenannten gesunden Menschenverstands anpasst und leugnet, dass die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft ein entsprechendes Maß an Hingabe, Kampf und theoretischer Arbeit verlangt. Oberflächliche Organisationen ziehen oberflächliche Menschen an.
Wenn man Tom Henehan beschreiben wollte, dann würde einem das Wort Oberflächlichkeit zu allerletzt einfallen. Tom gefiel die Workers League deshalb, weil sie an Problemen der Theorie arbeitete, weil sie den Marxismus als eine Wissenschaft studierte und weil ihre Perspektiven und ihr Programm ganz von einem geschichtlichen Geist erfüllt waren. Tom trat der Workers League bei, weil er alle seine Entscheidungen im Leben gründlich durchdachte.
Diejenigen unter uns, die wie Tom Henehan in den frühen 1970er Jahren der Workers League beitraten, sahen in ihr die einzige Partei, die die Probleme der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten in den breiteren Zusammenhang der historischen Erfahrungen der internationalen sozialistischen Bewegung im 20. Jahrhundert stellte. Dauerhafte Antworten auf die großen politischen und gesellschaftlichen Probleme von heute, erklärte sie, finde man nicht in radikal tönenden, aber im wesentlichen hohlen Parolen (wie etwa: „Die Macht kommt aus den Gewehrläufen“) oder in fieberhaftem Aktivismus. Die Workers League verlangte eine feste theoretische und politische Grundlage für die politische Arbeit. Von daher vermittelte sie uns die Lehren aus dem monumentalen Kampf, den Leo Trotzki und die Vierte Internationale gegen den Verrat des Stalinismus an der Oktoberrevolution von 1917 geführt hatten.
In den 1970er Jahren wurde die Workers League von ihren zahlreichen Gegnern in der radikalen Linken für gewöhnlich als „sektiererisch“ beschimpft. Diese üble Nachrede richtete sich gegen eben jene politischen Eigenschaften, die wir für unsere größten Stärken hielten: unsere Beschäftigung mit der materialistischen Dialektik, unser lebhaftes Interesse an der Geschichte, und unsere daraus folgende unversöhnlich kritische Haltung gegenüber den Parteien und Organisationen, die die Massenbewegung jener Tage dominierten. Wir waren die Partei, die die Verbrechen der stalinistischen Bürokratie und ihrer Komplizen an der sowjetischen und internationalen Arbeiterklasse weder vergessen noch vergeben wollten. Im Gegensatz zu den revisionistischen Bewegungen lehnten wir es ab, dem Stalinismus fortschrittliche Eigenschaften zuzuschreiben. Der Stalinismus war für uns keine irregeleitete politische Tendenz, die man von links beeinflussen und nach links drücken musste, sondern der politische Ausdruck einer konterrevolutionären Bürokratie, die es zu entlarven, zu diskreditieren und zu zerstören galt.
Eine nicht weniger kompromisslose Haltung bezogen wir gegenüber der Politik des radikalen bürgerlichen Nationalismus. Auf der Grundlage des Kampfes, den das Internationale Komitee der Vierten Internationale gegen die Kapitulation der amerikanischen Socialist Workers Party vor der Politik Fidel Castros geführt hatte, war die Workers League 1966 gegründet worden. Das Internationale Komitee hatte zu Recht davor gewarnt, dass die SWP mit ihrer Anpassung an Castro den Führungsanspruch der Arbeiterklasse in der Revolution fallen ließ. Zweifellos bedeutete Castros Sieg einen, wenn auch nur zeitweiligen, peinlichen Rückschlag für die Vereinigten Staaten. Er war aber keine neue Form der Arbeitermacht oder sogar eine taugliche Strategie der sozialistischen Revolution. Guerillatruppen aus Stadt und Land unter Führung des radikalen Kleinbürgertums, egal in welcher Zusammensetzung, konnten den Sozialismus nicht herbeiführen. Wir vertraten die Ansicht, dass das Schicksal des Sozialismus von dem bewussten politischen Kampf der internationalen Arbeiterklasse abhing, die von einer internationalen marxistischen Partei erzogen und an die Macht geführt wird.
Diese Auffassungen waren im politischen Klima der 1970er Jahre nicht populär. Die Sowjetbürokratie und die ihr angeschlossenen Kommunistischen Parteien verfügten damals noch über große Mittel und übten erheblichen Einfluss auf Millionen Arbeiter aus. Die „nationalen Befreiungsbewegungen“ – so wurden sie damals genannt – genossen weltweit ungeheures Ansehen. Unter Einsatz von Geldern aus der Sowjetunion – die in diesen Organisationen ein Gegengewicht zum Einfluss der USA auf der Welt sah – wurde der „bewaffnete Kampf“ der radikalen Nationalisten in der sogenannten Dritten Welt von breiten Schichten der Studentenschaft, der Intelligenz und anderen Teilen der Mittelklasse mit Begeisterung und Bewunderung begleitet. Die 1970er Jahre waren die Blütezeit der nationalen Befreiungsbewegungen – der IRA, der MPLA, der PLO, der Sandinistas, der Farabundo Marti, der Frelimo und zahlloser weiterer Organisationen.
Unsere Kritik an diesen Bewegungen, unsere Analysen der eigentlichen sozialen Interessen, die in der Politik der bürgerlichen Nationalisten beinhaltet waren, und unsere Warnungen vor der Unfähigkeit dieser Bewegungen, die ineinander verwobenen Probleme der imperialistischen Vorherrschaft, der wirtschaftlichen Rückständigkeit und der nationalen Unterdrückung zu lösen, stießen häufig auf Ablehnung. „Ihr Trotzkisten“, wurde uns immer wieder verächtlich entgegengehalten, „lebt in einer Welt der Theorie und kritisiert immer die Bewegungen, die tatsächliche Kämpfe führen.“
Unsere Bewegung war einem gehörigen Druck ausgesetzt, die Segel zu streichen und sich an die populäre Politik des radikalen Kleinbürgertums anzupassen. Leider gab eine Sektion unserer internationalen Bewegung diesem Druck nach. Die Workers Revolutionary Party in Großbritannien machte sich Mitte der 1970er Jahre allmählich die Auffassungen zu eigen, denen sie früher im Kampf gegen den Opportunismus der Socialist Workers Party noch widersprochen hatte. Auf der ersten Gedenkveranstaltung nach dem Mord an Tom im Oktober 1977 hörten wir mit Überraschung, Grausen und Bestürzung die Ansprache des Generalsekretärs der WRP Mike Banda, die als Lobrede auf Tom begann und dann unversehens in eine dreiste Huldigung an die Palästinensische Befreiungsorganisation umschlug! In ihrem Streben nach einem demokratischen und säkularen Palästina, pries Banda die Politik Arafats, suchten die PLO-Führer „keine Abkürzungen, keine pragmatischen Auswege...“
In den letzten zwanzig Jahren haben Arafat und die PLO nicht wenige „Abkürzungen“ und „pragmatische Auswege“ gesucht. Der Besuch im Weißen Haus, die Entgegennahme des Friedensnobelpreises in Oslo und zahllose Geheimgespräche mit diversen israelischen Premierministern darf man wohl getrost als „pragmatische Auswege“, wenn auch nicht gerade als „Abkürzungen“ bezeichnen. Wie dem auch sei, Arafat und die PLO haben das Ziel eines „demokratischen und säkularen Palästina“ längst aufgegeben und sich mit einem (in der internationalen Diplomatie so bezeichneten) „staatlichen Gebilde“ zufriedengegeben, wo die palästinensischen Massen im Zustand bitterer Armut und Rechtlosigkeit leben, unterdrückt nicht nur vom israelischen Regime, sondern auch von der Polizei der sogenannten „Palästinensischen Autonomiebehörde“. Ich habe an Bandas Rede erinnert und auf die Entwicklung der PLO hingewiesen, um deutlich zu machen, wie vollständig die Geschichte die politischen Prinzipien und das Programm bestätigt hat, für die das Internationale Komitee, die Workers League und Tom Henehan eingetreten sind.
In einer Rede, aufgenommen zur Zeit der Gründung der Vierten Internationale, sagte Trotzki voraus, dass die mächtigen Massenorganisationen des Tages – die von den Stalinisten und Sozialdemokraten geführten Parteien und Gewerkschaften – morsch seien und dass die kommenden historischen Ereignisse „von diesen überlebten Organisationen keinen Stein auf dem anderen lassen“ würden. In den Jahren seit dem Tode Tom Henehans hat sich diese Voraussage erfüllt. Organisationen, die noch vor kurzem so mächtig erschienen, sind buchstäblich zerbröselt. Das stalinistische Regime in der Sowjetunion brach in sich zusammen. Das maoistische Regime in China herrscht über ein brutales Ausbeutungssystem, das zu einem Stützpfeiler der globalisierten kapitalistischen Produktion geworden ist. Fidel Castro, der sowjetischen Subventionen beraubt wurde, knüpft das Schicksal der kubanischen Wirtschaft an die Förderung eines Tourismus, der bereits in moderner Form das Elend und die Korruption unter Batista wiedererstehen lässt.
Um das Leben Tom Henehans richtig zu würdigen, muss man den Wert der Sache und der Prinzipien überprüfen, für die er sich einsetzte. Von allen Seiten hören wir, der Sozialismus sei tot. Aber diese Behauptung beruht ausschließlich auf der falschen und zynischen Gleichsetzung des stalinistischen Regimes in der Sowjetunion mit Marxismus und Sozialismus. Die unversöhnliche Opposition des Marxismus gegen den Stalinismus war eine wesentliche Grundlage von politischem Programm und Perspektive der Workers League. Für Tom vollzog sich der Kampf für den Sozialismus notwendigerweise durch das Auftreten gegen den Stalinismus und gegen die Politik der Sowjetbürokratie. Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete das Ende nicht des Sozialismus, sondern jenes reaktionären Regimes, das sich marxistischer Phrasen nur bediente, um den Sozialismus zu verraten und in den Schmutz zu treten.
Man kann natürlich nicht bestreiten, dass der Stalinismus der Sache des Marxismus fürchterliche Schläge versetzte. Unsere wissenschaftliche Einschätzung des Charakters des Stalinismus unterscheidet sich, das ist unvermeidlich, von der Art und Weise, wie die breite Masse der Arbeiterklasse gegenwärtig den Untergang der UdSSR auffasst. Die Massen werden einige Zeit brauchen, um die komplexen politischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu verarbeiten und zu verstehen. Niemand kann voraussagen, wie lange diese Periode des Verarbeitens und der Neuorientierung dauern wird. Die politische Verwirrung kann das Wachstum der sozialistischen Bewegung noch eine Weile verzögern, dennoch enthält die Struktur der kapitalistischen Produktionsweise nach wie vor Widersprüche, deren notwendige und im historischen Sinne unzerstörbare Folge der Sozialismus darstellt.
Diese Widersprüche finden ihren direkten und potentiell explosiven Ausdruck in der vorherrschenden Stellung der transnationalen Konzerne, der globalen Integration der Produktion und der Internationalisierung der Arbeit im Kapitalismus. In den vergangenen zwanzig Jahren kam es infolge der internationalen Entwicklung des Kapitalismus zu einem starken Größenzuwachs des Proletariats. Ein weiteres Phänomen der vergangenen zwanzig Jahre ist die außerordentliche Polarisierung der kapitalistischen Gesellschaft zwischen den märchenhaft Reichen, die einen winzigen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen, und der breiten Masse, die in unterschiedlichem Maße von Unsicherheit und Nöten geplagt wird. Über diesen Prozess wird viel geklagt, er lässt sich aber im Rahmen des Kapitalismus nicht eindämmen.
Die Produktivkräfte werden immer gigantischer, die Technologie immer erstaunlicher. Auf dem Gebiet der Wissenschaft scheint alles möglich. Doch auf gesellschaftlichem Gebiet scheint die Menschheit festgefahren. Das wissenschaftliche Studium der Geschichte lehrt uns, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein kann. Früher oder später werden die Schranken, die dem Fortschritt im Wege stehen, niedergerissen werden. Ungeachtet der vorherrschenden Verwirrung und Fehlorientierung wirken unter der Oberfläche mächtige objektive Prozesse, die neuen revolutionären Erschütterungen den Weg bereiten.
Der Tod Tom Henehans war ein tragischer Verlust für seine Familie, für seine Genossen und Freunde, und für die Sache der arbeitenden Bevölkerung. Ich spreche wohl für alle unter uns, die den Oktober 1977 persönlich miterlebt haben, wenn ich sage, dass die damaligen Tage die traurigsten unseres Lebens waren. Das Gefühl des Verlusts hat uns bis heute nicht nur begleitet, es ist tiefer geworden. Nachdem wir die Umwälzungen und Erschütterungen der vergangenen zwanzig Jahre erlebt und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft gesehen haben, empfinden wir noch stärker, was wir mit Toms Tod verloren haben.
Wenn wir mit Alter und Erfahrung etwas erworben haben, dann das Wissen um die unermessliche Bedeutung von sozialistischem Bewusstsein in der modernen Geschichte. Mit dem andauernden Krieg gegen den Marxismus, den sie an so vielen Fronten führt, anerkennt die Bourgeoisie die Macht der sozialistischen Ideen und die Gefahr, die von ihrer Verbreitung ausgeht. Die objektiven Bedingungen geben der Arbeiterklasse die Möglichkeit, nicht aber die Garantie des Sozialismus. In einem noch größeren Maße, als von den Gründern unserer Bewegung erwartet, hängt das Schicksal des Sozialismus und mit ihm jenes der Menschheit von der Erweiterung des geistigen Horizonts der Arbeiterklasse ab.
In diesem Sinne bedeutet Sozialismus nicht nur die Mobilisierung der Arbeiterklasse für eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Forderungen, sondern auch eine umfassende kulturelle Bewegung des Proletariats. Diese Bewegung kann nicht spontan entstehen. Nur durch die Kader können sozialistische Politik und Kultur in die Arbeiterklasse gebracht werden. Diese Kader – die Männer und Frauen, die den Kampf für den Sozialismus zu ihrem wichtigsten Lebenszweck machen – sind die menschlichen Träger der einzigen wissenschaftlichen Lehre für die universelle gesellschaftliche Befreiung. Was wir mit dem Tode Tom Henehans betrauern, ist der Verlust nicht nur eines Genossen und Freundes, sondern eines wertvollen, unersetzlichen Werkzeugs der Aufklärung und des Fortschritts.
Abschließend möchte ich mich an die jüngere Generation wenden, die aus dem Beispiel Tom Henehans viel lernen kann. Ohne eigenes Verschulden ist die Jugend heute abgeschnitten nicht nur von dem revolutionären Geist, der in den ersten drei Vierteln dieses Jahrhunderts allgegenwärtig war, sondern auch von den geistigen Traditionen, die frühere Generationen Jugendlicher zu großen, aufopferungsvollen gesellschaftlichen Kämpfen inspirierten. Die jungen Leute von heute sind in der Tat Ziele und Opfer eines wütenden Angriffs auf jeden Ansatz zu gesellschaftskritischem Denken. Auf zahllosen Wegen und in ebenso vielen Variationen predigen die Macher der offiziellen öffentlichen Meinung – in der Regierung, in den Medien und besonders an den Universitäten – dieselbe trostlose Botschaft von Anpassung und Abgestumpftheit. Geld, so tönt es, sei das Maß aller Dinge. Sinn und Zweck des Daseins bestehe darin, möglichst lange zu leben und möglichst viel zusammenzuraffen. Die wichtigste Entscheidung im Leben eines Menschen betreffe nicht die Sache, in deren Dienst er sich stellt, sondern die Mischung der Anlagenfonds, in die er investiert.
Die Geschichte zeigt, dass die Vorherrschaft derart hohler und selbstsüchtiger Auffassungen typisch ist für eine Gesellschaft, die sich in Fäulnis und Auflösung befindet. Die Jugend muss in ihrem Denken und praktischen Handeln dieses verrottete Umfeld abschütteln. Sie muss an die Zukunft denken und die Verantwortung dafür übernehmen. Sie muss sich fragen, wofür und zu welchem Zweck sie lebt. Tom Henehan hatte sich diese Fragen gestellt und, als er Antworten gefunden hatte, ebenso konsequent wie leidenschaftlich gehandelt. Das verlieh seinem Leben bleibende Bedeutung.
In dem heute vorherrschenden Klima des Zynismus trifft man sicherlich auf Leute, die einen so frühen Tod ausschließlich für ein persönliches Unglück halten und sich nachgerade kein Anliegen vorstellen können, das ein derartiges Opfer wert sein könnte. Solche Leute verschwenden wenige Gedanken daran, dass ihr eigenes bequemes Leben, das ihnen so lieb und teuer ist, auf einer Wirtschaftsordnung beruht, die ungezählte Millionen zu Elend und einem frühen Tod verdammt. Jeder von uns wünscht, dass Tom noch lebte. Aber man darf ein Leben nicht an seiner Länge oder an anderen oberflächlichen, konventionellen Maßstäben des persönlichen Erfolgs messen, sondern daran, was es zur Verbesserung der Lage der Menschheit beigetragen hat. Die Tatsache, dass Tom so vielen Menschen in Erinnerung geblieben ist, dass er für Leute auf der ganzen Welt Beispiel und Inspiration geblieben ist, zeigt am wahrhaftigsten den Wert seines Lebens.
Man sagt, dass die Jugend die beste Zeit im Leben eines Menschen ist, die Zeit, in der Ideale mehr zählen, als alles andere. Wenn ein Mensch nicht von Idealen ergriffen wird, so lange er jung ist, dann werden sie ihn niemals bewegen, und sein Leben wird belanglos bleiben. Solche Leute kann man nur bedauern, denn sie haben sich, wissentlich oder nicht, zu einem Leben ohne wirklichen Sinn verdammt.
Doch die genannte Einsicht in die Bedeutung der Jugend hat noch einen weiteren Aspekt, und zwar die Beziehung der Jugend zum Rest des Lebens. Die moralische Qualität eines Menschenlebens kann man am besten daran ermessen, in welchem Maße es den Idealen seiner Jugend treu geblieben ist. Das ist eine sehr strenge Prüfung, nicht nur für einzelne Menschen, sondern auch für politische Parteien.
Tom Henehan war Bestandteil der Jugend unserer Partei. Er verkörperte die Ideale, die unsere Partei in ihrer Jugend beseelten. In den vergangenen zwanzig Jahren hat unsere Partei viele Erfahrungen durchlebt, darunter eine sehr bittere politische Spaltung, die uns für alle Zeiten von der Workers Revolutionary Party trennte. Wir haben viel gelernt und sind reifer geworden. Wir haben die Workers League in die Socialist Equality Party umgewandelt. Aber in all diesen Erfahrungen, und inmitten der politischen Umwälzungen, die die Welt auf den Kopf gestellt haben, sind wir den revolutionären Grundsätzen treu geblieben, die Tom einst inspirierten und seine Phantasie beflügelten.
Die Unverwüstlichkeit unserer Partei, ihr unerschütterliches Festhalten an ihren Gründungsprinzipien, und ihr Vertrauen in die Zukunft leiten sich in letzter Analyse von der Stärke ihrer historischen Perspektive und von ihrem Verständnis der unlösbaren Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems ab. Der Kapitalismus ist nur ein Stadium in der geschichtlichen Evolution des Menschen, und der Markt ist nicht die höchste und letzte Äußerung seines Genies. Die Arbeit, die erst Kapital schafft, bleibt das Wesen des Menschen, und die Geschichte bewegt sich, bei all ihren Verwicklungen und Tragödien, unweigerlich auf den Sozialismus zu.
Die Jahre seit Toms Tod waren für unsere Partei, sowohl innerhalb der Vereinigten Staaten als auch für ihre internationalen Sektionen, eine Periode des politischen und geistigen Wachstums. Doch wenn Tom Henehan heute noch am Leben wäre, würde er trotz aller notwendigen Änderungen unserer praktischen Arbeitsformen diese Partei immer noch als seine Partei erkennen. Sein Werk lebt in unserer Bewegung fort. Deshalb können die Socialist Equality Party und das Internationale Komitee der Vierten Internationale diese Gedenkveranstaltung zu Ehren Toms ohne jede Spur inneren Unbehagens abhalten. Wir sind die Partei des wahren Marxismus und des revolutionären Sozialismus, und wir rufen die Jugend auf, aktiv zu werden und uns zu helfen, die Bewegung aufzubauen, die allen Formen von Ausbeutung und Ungerechtigkeit ein Ende setzen wird.