Regie: Raymond Ley, Produktion: Ulrich Lenze, Darsteller: Matthias Brandt, Axel Milberg, Franz Dinda u.a.
Das am 30. August auf ARTE und am 4. September in der ARD ausgestrahlte Dokudrama Eine mörderische Entscheidung schildert in einer Mischung aus Fiktion und Dokumentaraufnahmen, was vor vier Jahren im afghanischen Kundus geschah.
Im Mittelpunkt des Films steht Bundeswehroberst Georg Klein, damaliger Kommandeur des deutschen Lagers in Kundus, der am 4. September 2009 das schlimmste Massaker deutscher Truppen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs befahl. Er ließ zwei von Taliban entführte Tanklastzüge bombardieren und dabei nach NATO-Angaben mehr als 140 Menschen, hauptsächlich Zivilisten, Frauen und Kinder aus umliegenden Dörfern töten.
Dieses Ereignis stellte eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte dar und löste in Berlin kurz vor der Bundestagswahl 2009 eine Regierungskrise aus. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) musste nach der Wahl zurücktreten, und der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg entließ den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan sowie Staatssekretär Peter Wichert. Es fanden Bundeswehr- und Nato-Untersuchungen und juristische Ermittlungen statt. Darüber hinaus wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Obwohl die nach und nach ans Licht gekommenen Tatsachen den Luftangriff von Kundus eindeutig als ein Kriegsverbrechen zeigten, wurden sämtliche Ermittlungen gegen Klein und den mitverantwortlichen KSK-Offizier Maik Wilhelm eingestellt. Der Untersuchungsausschuss sprach sie von jeglicher Schuld frei, die Bundesanwaltschaft rechtfertigte die Tötung von Zivilisten als vereinbar mit dem Völkerrecht, und der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière beförderte Klein in diesem Frühjahr zum Brigadegeneral.
Das Massaker von Kundus wurde auf diese Weise zum Signal für die Rechtfertigung künftiger militärischer Einsätze der Bundeswehr. Es war eine Art Feuertaufe für die Wiederkehr Deutschlands als aggressive Kriegsmacht. In dieser Situation hat der Film von Raymond Ley doppelte Brisanz. Er führt die schrecklichen Ereignisse jener Bombennacht erneut vor Augen und zeigt die Brutalität eines Krieges, der bis dahin als „humanitäre Aufbaumission“ verharmlost wurde. Gleichzeitig platzt die Ausstrahlung des Films in die aktuelle Diskussion über die Bombardierung Syriens, die einen sehr viel weitergehenden Krieg auslösen kann und erneut als Schutzmaßnahme für die Bevölkerung dargestellt wird.
Die Stärke des Films ist die Authentizität, mit der dieses ungeheuerliche Verbrechen von Kundus dargestellt wird. Gestützt auf Dokumentarszenen, Agenturberichte, Zeugenaussagen und Interviews mit Angehörigen der Opfer, Protokolle des Untersuchungsausschusses und Spielfilmsequenzen macht der Film die schrecklichen Ereignisse noch einmal lebendig. Er beginnt und endet mit den entsetzlichen Bildern von brennenden Menschen und zerfetzten Körpern, die damals um die Welt gingen und einem schwerstverbrannten Mädchen im Krankenhaus, das das Filmteam interviewt hat.
Damit tritt der Film dem Versuch entgegen, die blutigen Konsequenzen des Kundus-Angriffs zu verharmlosen. Aber er bleibt dennoch an der Oberfläche und weicht an vielen Stellen einer scharfen und deutlichen Stellungsnahme aus. Selbst dort, wo die im Film gut dargestellten Fakten wichtige Fragen aufwerfen, wird ihnen oft nicht nachgegangen. Man hat den Eindruck, zwischen Produzenten, Regisseur, Schauspielern und anderen einflussreichen Mitwirkenden bestanden zeitweise unterschiedliche Konzeptionen, die durch Kompromisse überbrückt wurden.
Von der „Aufbaumission“ zum „gezielten Töten“
Der erste Teil des Films schildert die Lage der deutschen Soldaten im Bundeswehrcamp Kundus im Norden Afghanistans. Es sieht zunächst so aus, als sei die Behauptung zutreffend, die Bundeswehr habe in Afghanistan nur eine Friedensmission und wolle Brunnen bohren, Mädchenschulen und Krankenhäuser bauen, demokratische Strukturen schaffen etc. – die Begründung, die Regierung und Oppositionsparteien regelmäßig anführten, um im Bundestag den Einsatz verlängern zu lassen. Die Einheit, die Oberst Klein befehligte, hieß PRT (Provincial Reconstruction Team – Regionales Wiederaufbauteam). Im Nato-Operationsplan wurde den Soldaten „die Anwendung tödlicher Gewalt“ nur unter Vorbehalt zur unmittelbaren Selbstverteidigung erlaubt.
Die Gruppe junger Soldaten, die mit solchen Vorstellungen Quartier beziehen, erleben jedoch bald eine andere Situation. Es wird gezeigt, wie sie Patrouille fahren, in Gefechte und einen Hinterhalt geraten und der Bundeswehrsoldat Sergej Motz tödlich getroffen wird. Oberst Klein wird als sensibler Mensch eingeführt, das Gegenteil von einem schneidigen Offizier. Er hört klassische Musik, ist gläubiger Christ und zeigt sich erschüttert über den Tod von Sergej. Spätere Filmausschnitte mit dem realen Klein, der keinerlei Empfindlichkeit gegenüber den Konsequenzen seines Handelns zeigt, konterkarieren diese allzu humane Darstellung von Oberst Klein im Film.
Großen Raum nehmen Interviews mit den aus Kasachstan stammenden Eltern von Sergej Motz ein, die sich selbst die Schuld geben, dass sie den Sohn nach Afghanistan gelassen haben. Auch sie haben die politische Propaganda geglaubt, die Bundeswehr führe keinen „Krieg“. Der Vater, der selbst noch mit der Sowjetarmee in Afghanistan gekämpft hatte, resümiert am Sarg seines Sohnes: „Warum, warum?“ und „Für welches neue Deutschland?“
Nach dem Tod Sergejs verändert sich Kleins Standpunkt. Er überbringt den Soldaten eine neue Direktive der Bundeswehr mit den Worten, Berlin habe sich Gedanken über die neue Lage vor Ort gemacht. Er fährt fort: „Wenn es die Situation erfordert, dann schießen Sie. Und zwar nicht nur auf die Beine.“ In der nächsten Szene wird dies umgesetzt, als einer der jungen Soldaten zum Entsetzen seines Kameraden gezielt einen afghanischen Autofahrer tötet.
Hier wird die neue Verhaltensregel in einer Weise dargestellt, die ihre weitreichende Bedeutung verschleiert. Es wird so getan, als sei die neue Richtlinie, die einem Schießbefehl gleichkommt, zur Gefahrenabwehr für die Soldaten überfällig und gerechtfertigt. Da klingen die unverblümten Äußerungen im Interview mit Wolfgang Schneiderhan, bis 2009 Generalinspekteur der Bundeswehr, schon ganz anders. Berliner Politiker hätten hinter vorgehaltener Hand gespottet, man habe sich im Norden Afghanistans wohl ein Ferienlager eingerichtet, auch von den Verbündeten käme Kritik, und man dürfe jetzt nicht mehr als „Weichei“ dastehen, sondern müsse militärische Erfolge vorzeigen. Er habe unter diesem Gesichtspunkt Oberst Klein die neue Direktive aus Berlin erläutert.
Diese Direktive betraf eine grundlegende strategische Änderung für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. In den neuen Einsatzregeln, der sogenannten Taschenkarte der Soldaten, die das Verteidigungsministerium im Sommer 2009 festlegte, wurde ausdrücklich die Gewaltanwendung gegen Personen, die ein „feindseliges Verhalten zeigen“, erlaubt. Damit wurde die gezielte Tötung von Gegnern oder vermeintlichen Gegnern ohne vorherige Gefangennahme und ohne Gerichtsverfahren sanktioniert – eine Politik, die bis dahin in Deutschland aufgrund der Erfahrungen der Nazi-Diktatur geächtet war.
Die Lügen von Kundus
In seiner stärksten Szene stellt der Film noch einmal den Ablauf der Ereignisse in jener Nacht vom 3. auf den 4. September dar. In der Kommandozentrale der geheimen Task Force 47, die großenteils Offiziere der KSK (Kommando Spezialkräfte) umfasst, entscheidet Oberst Klein, die Sandbank im Kundus-Fluss zu bombardieren, wo die beiden Tanklaster seit Stunden festgefahren waren und wo sich zahlreiche Dorfbewohner versammelt hatten, um Benzin zu zapfen. Nach der Rückkehr eines Aufklärungsflugzeugs, das mindestens 70 Personen vor Ort gezählt hatte, forderte Klein amerikanische Bomber vom Typ F 15 an.
Der Wortwechsel mit den amerikanischen Piloten, der wörtlich die Funkprotokolle wiedergibt, wirft ein Licht auf die Entschlossenheit Kleins, die Bombardierung durchzusetzen. Jeder Vorschlag der Piloten – weitere Aufklärung, einen „show of force“-Flug, das heißt Tiefflug, um die möglichen Zivilisten zu warnen, eine Absprache mit übergeordneten Stellen – wird von Klein in Abstimmung mit dem Flugleitoffizier Maik Wilhelm (ausgezeichnet von Franz Dinda mit der entsprechenden Arroganz der Offizierskaste dargestellt) und dem fiktiven BND-Mitarbeiter (ebenfalls gut gespielt von Axel Milberg) beiseite gewischt. Stattdessen übermitteln sie den Piloten wissentlich falsche Angaben: Es gebe eine Gefährdung des Bundeswehrcamps, es gebe „Feindkontakt“, „friendly forces“ seien nicht vor Ort – obwohl über das Schicksal eines der beiden Tanklaster-Fahrer nichts bekannt war –, außerdem bestehe die Menschenansammlung ausschließlich aus Taliban-Terroristen.
Letztere Information stammte aus der Quelle eines afghanischen Informanten, der offensichtlich im Auftrag des korrupten Gouverneurs Mohammad Omar falsch informierte. Der Frage der Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Warlords und korrupten afghanischen Politikern geht der Film nicht weiter nach.
Nato-Kommandeur a. D. Egon Ramms, der einzige Militär neben Schneiderhan, der dem Filmteam ein Interview gibt, verweist zu der Aussage des Informanten auf bisherige Regeln, dass bei Ansammlung von mehr als 30 Personen grundsätzlich von der Anwesenheit ziviler Personen auszugehen sei. Dennoch wird die Aussage auf Nachfragen der Piloten als verlässlich bezeichnet. Schließlich antwortet Klein auf die Frage, ob auf die Tanklaster oder auf die Personen gezielt werden soll: „auf die Personen“. Auch befiehlt er, statt einer 500-Pfund-Bombe, wie es die Piloten empfehlen, gleich zwei abzuwerfen.
Der überlebende zweite Tankwagenfahrer reichte übrigens später eine Klage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Befehls von Oberst Klein ein, die das Verwaltungsgericht Köln am 9. Februar 2012 jedoch abwies (VG Köln, Urteil vom 9. Februar 2012).
In dieser Szene vermittelt der Film ein deutliches Bild: Der Bundeswehrkommandeur hat bewusst auf der Grundlage von Lügen, ohne dass irgendeine unmittelbare Gefahr für die eigenen Soldaten bestanden hat, ein Kriegsverbrechen befohlen.
Unmittelbar danach wird diese Aussage jedoch wieder abgeschwächt und Oberst Klein zur „tragischen Figur“ stilisiert: Er verbeugt sich vor einem Kreuz und bittet um Vergebung – im Kontrast zum wirklichen Klein, der später im Untersuchungsausschuss keinerlei Reue zeigt.
„Moralisches Dilemma“
Der Film schwankt zwischen historischer und politischer Aufarbeitung und oberflächlicher Charakterstudie, die Oberst Klein als jemanden darstellt, der unter dem Druck der Situation in ein moralisches Dilemma geraten sei und daher eine Fehlentscheidung getroffen habe. Die Besetzung dieser Figur mit Matthias Brandt, dem jüngsten Sohn Willy Brandts, unterstreicht diese Tendenz. Raymond Ley sagt selbst im Presseinterview, er habe manchmal befürchten müssen, Brandt „sei im Kern zu sympathisch für diese Rolle“, und: „Wir mussten darauf achten, die moralische Kompetenz des Oberst Klein nicht zu überhöhen.“
Der Film mindert die Bedeutung des blutigen Luftangriffs in Kundus herab – obwohl Ley selbst betont, für ihn sei „Klein […] der erste, der dort für uns erkennbar Krieg führte“. Seine Beförderung zum Brigadegeneral sehe er als „Skandal“. Kundus habe „die Büchse der Pandora geöffnet“ und gezeigt, „welchen Weg die Bundeswehr einschlagen will“.
Offensichtlich stand die Produktion des Films unter großem Druck. Zum einen wurde er, anders als der gewaltverherrlichende Actionfilm von Til Schweiger, „Schutzengel“, der mit aktiver Unterstützung der Bundeswehr im letzten Jahr in die Kinos kam, von der Bundeswehr und der Politik boykottiert. Oberst Klein selbst lehnte ein Interview ab, und die Bundeswehr erteilte weder eine Genehmigung für Interviews mit Soldaten und Offizieren, die dazu bereit gewesen wären, noch zur Nutzung von Filmdokumenten aus dem Bundeswehr-Archiv.
Zum anderen übte sicherlich auch die laufende Debatte in Kultur-, Medien- und Akademikerkreisen, die Deutschen müssten wieder offen über Krieg sprechen und sich an das Töten gewöhnen, ideologischen Druck aus. Dies betrifft auch die Auftraggeber Leys im NDR und bei ARTE. Prof. Dr. Andreas Schreitmüller, Hauptabteilungsleiter Spielfilm von ARTE, der zusammen mit Christian Granderath, Leiter der NDR-Abteilung Film, die Redaktion des Films leitete, erklärt in einem Kommentar, bei Auslandseinsätzen sei „die reine Lehre nicht durchzuhalten“, die Wirklichkeit stelle sich „gerade auch für einen militärischen Befehlshaber komplexer“ dar, als sie in der üblichen Berichterstattung erscheine. „Das moralische Dilemma ist nicht auflösbar. Und das zeigt uns dieser Film auf beklemmende Weise.“
Christian Granderath beklagt sich, dass deutsche Autoren und Regisseure zu zögerlich seien, über Krieg zu reden: „‚Krieg … geht nicht’ – diese Erkenntnis ist wohl Allgemeingut unter deutschen Fernsehfilmredakteuren, …“. Dies sei weniger Überzeugung, sondern der Tatsache geschuldet, dass man „mit Geschichten-Erzählen über die Kriege von heute in der Regel nicht wirklich Quote machen“ könne. Er lobt ausgerechnet Til Schweigers Film, der dieses Zurückscheuen durchbrochen habe. Der Krieg sei schon seit Heraklit „Vater aller Dinge“ und „wie geschaffen für die großen Stoffe in Literatur und Film“. Gut sei, dass Leys Film „ohne Denunzierung der Täter, ohne Feindbilder und ohne billige politische Parolen“ auskomme.
Ähnlich argumentierte Frank Beckmann, Programmdirektor Fernsehen des NDR: „Raymond Ley thematisiert eine existentielle Entscheidung: Nehme ich das Risiko in Kauf, zum Schutz der eigenen Soldaten Unschuldige zu verletzen oder gar zu töten? Dieser Film verurteilt nicht. … Er lässt den Zuschauer mit einer Frage zurück: ‚Was hätte ich in der Situation getan?’“
Genau diese Argumentation war auch der Tenor aller Rezensionen und Fernsehdiskussionen zur Sendung. Oftmals von ehemaligen Pazifisten und Linken geführt, liefert sie die Begleitmusik für die Vorbereitung neuer blutiger Kriegseinsätze und beschönigt den wieder erstarkenden Militarismus in Deutschland.
Siehe auch:
Massaker in Kundus enthüllt Charakter des Afghanistankriegs
Das Massaker von Kundus und die Politik des „gezielten Tötens“
Eine mörderische Entscheidung auf der ARD-Mediathek